Am 21. November 2019 hatte der Verein „zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“ aus Anlass seines fünfjährigen Bestehens zu einem Empfang in die Räume der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein im Anscharpark in Kiel geladen. Im Herbst 2013 hatte es auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Veranstaltung unter dem Titel „Rechte Gewalt in Schleswig-Holstein: Wer sind die Betroffenen und wie sollten sie unterstützt werden?“ gegeben. Sie war Grundlage und Ausgangspunkt für die Gründung von Zebra im Jahr 2014.
Aus Anlass des fünfjährigen Bestehens haben wir ein Interview mit Kai Stoltmann zur Arbeit von zebra geführt.
Moin Kai. Der Verein zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe, betreut und berät Menschen, die von rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen betroffen sind. Um welche Arten von Angriffen geht es und wer sind die Opfer?
Grundsätzlich geht es bei rechten Angriffen um Bedrohungen, Nötigungen, gezielte Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Brandstiftungen oder Tötungsdelikte, die einen politisch rechten Hintergrund haben. In den letzten Jahren bezog sich dieses Phänomen insbesondere auf politische Gegner*innen und auf Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Darüber hinaus kann es aber auch Menschen mit Behinderung treffen, LGBTIQ*, Obdachlose oder Angehörige von nicht-rechten Subkulturen. Die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Regelmäßig kennen Täter*innen und Betroffene sich nicht im Vorfeld, sondern es kommt bei einer zufälligen Begegnung im öffentlichen Raum zu einem Angriff. Dabei schreiben Täter*innen den Betroffenen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu, die nicht ins rechte Weltbild passt. Zum Teil basiert diese Zuschreibung auf äußeren Merkmalen, etwa einer dunkleren Hautfarbe oder eines „Gegen Nazis“-Buttons. Rechte Angriffe stellen so Botschaftstaten da, die sich nicht nur gegen die direkt Betroffenen sondern an die zugeschriebene Gruppe richten.
Auf welchen Grundsätzen basiert eure Arbeit?
Zentral für unsere Arbeit sind insbesondere drei Schlagwörter: Vertraulichkeit, Parteilichkeit und Unabhängigkeit. Jene Informationen, die uns in einem Beratungsgespräch anvertraut werden, sind bei uns sicher. Wir stehen nicht als eine neutrale Instanz zwischen der Täter*in und den Betroffenen, sondern klar an der Seite der Betroffenen. Beides ist von entscheidender Bedeutung, damit sich die Menschen nach einem Angriff bei uns gut aufgehoben fühlen können. Darüber hinaus ist unser Verein als Träger der Sozialen Arbeit unabhängig von staatlichen Instanzen, insbesondere natürlich von der Polizei oder den Gerichten.
Wie erreicht ihr die Menschen und was sind eure Hilfsangebote?
Um die Hürde für die Betroffenen möglichst gering zu halten, gehen wir unsererseits aktiv auf die Opfer zu. In der Praxis recherchieren wir gezielt nach rechten Angriffen und sprechen die Betroffenen dann an, ob sie Unterstützung benötigen. Bei unserer Recherche greifen wir auf Soziale Medien und Zeitungen zurück, wir haben die Meldungen der Polizei im Blick und wir sind viel mit Vernetzungspartner*innen in Kontakt, die gute Kontakte zu potentiellen Betroffenen haben. Unser Angebot für die Betroffenen wird dann individuell auf die jeweilige Situation abgestimmt. Häufig geht es dabei zum Beispiel um die Wiederherstellung des Sicherheitsgefühls, das durch einen solchen Angriff massiv beeinträchtigt werden kann. In anderen Fällen begleiten wir die Betroffenen mit zur Polizei oder zu den Gerichtsterminen, wo die Betroffenen erneut auf die Täter*innen treffen. Darüber hinaus unterstützen wir dabei, Entschädigungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, um die finanziellen Folgen einer solchen Tat abzufedern. Auf einer abstrakteren Ebene geht es also darum, den Betroffenen bei der Bewältigung der Tatfolgen zu helfen.
Wie seid ihr vernetzt und welche Bedeutung haben diese Partner*innen für eure Arbeit?
Wir versuchen in ganz Schleswig-Holstein mit Betroffenengruppen, Communities und Multiplikator*innen vernetzt zu sein. In der Praxis umfasst unser Netzwerk unterschiedliche Akteur*innen von Moscheevereinen über LGBTIQ*-Gruppen bis hin zu kirchlichen Akteur*innen, Lokalpolitiker*innen oder Menschen und Initiativen, die sich für Demokratie und Menschenrechte und gegen rechte Hetze einsetzen. Der Wert dieser Partnerinnen und Partner für unsere Arbeit kann kaum überschätzt werden. Wir sind gerade in den ländlichen Regionen stark auf Akteur*innen vor Ort angewiesen, die uns über rechte Angriffe informieren und die Betroffenen auf das Angebot von zebra hinweisen. Deswegen begreifen wir unsere Vernetzung stets auch als eine kontinuierliche Beziehungsarbeit.
Mit welchen Problemen seid ihr derzeit beschäftigt, worum geht es in euren aktuellen Debatten?
Im Zentrum unserer internen Debatten steht natürlich stets eine qualitative Weiterentwicklung unserer Beratungsqualität. Dabei geht es letztlich immer um die Frage, wie wir die Betroffenen noch besser unterstützen können. Auch in der Öffentlichkeit melden wir uns immer wieder zu Wort, damit die Opferperspektive in der medialen Berichterstattung berücksichtigt wird. Im vergangenen Jahr haben wir uns beispielsweise zum staatlichen Umgang mit rechten Feindeslisten geäußert. Auch wenn es in einer Gemeinde verstärkt zu rechten Angriffen kommt, lenken wir den Fokus auf die Belange der Betroffenen.
Gibt es fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zu rechter Gewalt in Schleswig-Holstein? Wo siehst du zentralen Forschungsbedarf?
Bisher gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Dimensionen von rechten Angriffen in Schleswig-Holstein. Es wurde jedoch kürzlich eine Regionalanalyse zum Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein vorgestellt. Diese bestätigt quantitativ jene Beobachtung, die wir in den vergangenen Jahren bereits gemacht haben: Rechte Gewalt ist ein Alltagsphänomen, von dem Menschen in der ganzen Breite dieses Bundeslandes betroffen sind. So haben 12,6 % der befragten Schülerinnen und Schülern schon einmal irgendeine Form von rechter Diskriminierung oder Gewalt erfahren. 22,3 % der Befragten haben sogar angegeben, dass Sie bestimmte Orte meiden, weil Sie dort Probleme mir Rechten bekommen würden. Diese Zahlen belegen eine erschreckende Dimension der Auswirkungen von rechter Gewalt auf Menschen, die zwischen Pinneberg und Flensburg groß werden.
Wie viele Betroffene habt ihr in den letzten Jahren beraten?
In den letzten Jahren ist die Anzahl der Betroffenen, die bei uns Unterstützung erhalten, kontinuierlich angestiegen. Allein dieses Jahr waren bisher um die 100 Menschen bei uns in der Beratung. Dabei haben wir es immer mehr mit komplexen Beratungsgesprächen zu tun, wenn etwa ganze Familien angegriffen werden oder Geflüchtete schon vorher durch Traumata belastet waren. Von der Kontaktaufnahme bis zum Fallabschluss können unter Umständen mehrere Jahre vergehen, insbesondere wenn wir die Betroffenen zu Gericht begleiten oder es in der Beratung um Entschädigungsmöglichkeiten geht.
Wie wird sich aus deiner Sicht der Beratungsbedarf in diesem Feld in den nächsten Jahren entwickeln? Was sind die Gründe für deine Prognose?
Als wir unser Projekt vor fünf Jahren gestartet haben, haben wir und viele andere Beratungsstellen von einer Welle rechter Gewalt gesprochen. Mittlerweile müssen wir leider feststellen, dass sich rechte und rassistische Angriffe seit dem Sommer der Willkommenskultur 2015 auf einem hohen Niveau eingependelt haben. Aus der Welle rechter Gewalt ist gewissermaßen ein dauerhafter Anstieg des Meeresspiegels geworden. Dementsprechend rechnen wir auch in den kommenden Jahren nicht damit, dass die Anzahl der Betroffenen zurückgehen wird. Gerade die rassistische Alltagsgewalt, die in ihren Auswirkungen auf die Betroffenen nicht unterschätzt werden sollte, wird sich wohl auch in Zukunft weiter fortsetzen.
Das Interview führte Heino Schomaker