Revolution im Iran: Interview mit Sadaf

In unserer Interviewreihe zur aktuellen Situation der Revolution im Iran erzählt uns Sadaf* von ihrer Perspektive auf die Geschehnisse in ihrer Heimat, und spricht über ihre Hoffnung auf einen freien und demokratischen Iran.

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Lesedauer: 8 Minuten
Sadaf demonstrating in Erfurt

Wer bist Du, und was ist Deine Verbindung zum Iran?

Ich bin eine iranische Frau. Vor vier Jahren habe ich mein Land verlassen, um eine Promotion in Deutschland zu beginnen. Um die Sicherheit meiner Familie im Iran zu gewährleisten, werde ich mich leider nicht ausführlicher vorstellen können.

 

"Die Menschen stehen jetzt solidarisch zusammen und haben keine Angst mehr."

 

Wie würdest Du den aktuellen Stand der Revolution im Iran beschreiben?

Der Iran ist ein völlig anderes Land als noch vor 5 Monaten. Alle Menschen dort haben jetzt ein Bewusstsein für die aktuelle Situation, das wird ihnen niemand mehr nehmen können. Deshalb gibt es auch keinen Weg zurück. Die Legitimität des Regimes ist grundlegend gebrochen. Ob Künstler*innen, Wissenschaftler*innen oder Sportler*innen, alle sprechen sich klar gegen das Regime aus, weil alle wissen, dass sie mit ihrer Haltung nicht allein sind. Seit Beginn haben Schüler*innen und Studierende eine herausragende Rolle bei der Revolution gespielt, was vom Regime nicht hingenommen werden konnte. Ich sehe die aktuellen Giftanschläge auf Iranische Schülerinnen ganz klar als Reaktion darauf. Unzählige Schülerinnen sind von den Anschlägen betroffen, mindestens zwei sind gestorben. Das aktuelle Vorgehen des Regimes ist eines der brutalsten terroristischen Akte in der Geschichte autoritärer Regimes, und all das passiert vor den Augen der Weltgemeinschaft.

Das Regime regierte im Iran lange nur durch Angst und Einschüchterung, doch die Menschen im Iran stehen jetzt solidarisch zusammen und haben keine Angst mehr. Viele fangen an, sich auf den Moment vorzubereiten, in dem das Regime zusammenbricht. Sie kämpfen jetzt nicht mehr nur auf der Straße, sondern es gibt viele Diskussionen und Bemühungen, mit Hilfe der Opposition und Aktivist*innen im Ausland Pläne für die Übergangszeit zu entwickeln, die für alle funktionieren. Die Iraner*innen sind sich bewusst, dass sie sich trotz aller Schmerzen und wirtschaftlichen Probleme auf ebensolche Prozesse besinnen müssen. Denn niemand will mehr eine weitere Diktatur. Das ist es, was ich sehe: Die fortschrittlichste Revolution der Geschichte steht kurz davor, zu gewinnen.

Wie nimmst Du die deutsche Perspektive auf das Geschehen im Iran wahr, sowohl in den Medien als auch in Deinem gesellschaftlichen Umfeld?

Die deutschen Medien berichten über die Situation im Iran und scheinen die Revolution zu unterstützen. Ich glaube jedoch nicht so recht daran. Während all der schrecklichen Ereignisse der letzten Monate arbeiteten Iraner*innen im Ausland mühselig daran, die Aufmerksamkeit der Berichtserstattung auf diese Ereignisse zu lenken, etwa über Soziale Medien. Erst so wurden größere Medien dazu gezwungen, darüber zu berichten. Die vom iranischen Regime verbreitete Falschmeldung von der Abschaffung der Sittenpolizei wurde jedoch hierzulande von vielen Stellen einfach übernommen, ohne Sie mit unabhängigen Berichten aus dem Iran abzugleichen. Ich fand das sehr fragwürdig. Weiterhin wird nur wenig über die Forderung berichtet, die „Iranische Revolutionsgarde“ (Streitkräfte des Iranischen Regimes, Anm. d. Red.) auf die Terrorliste der EU zu setzen. Durch die mangelnden Informationen über diese wichtige Forderung in den deutschen Medien schließen sich auch nur sehr wenige Deutsche den Forderungen an.

Ein ähnliches Problem zeigt sich auch in meinem sozialen Umfeld. Die Mehrheit der Menschen fragt nicht, wie sie uns helfen können, vielleicht weil sie unseren Schmerz nicht fühlen. Ich glaube, dass die Medien in dieser Hinsicht eine größere Rolle spielen und den Menschen helfen könnten,  sich uns näher zu fühlen. Ich denke, wenn die Menschen hierzulande umfassender informiert wären, dann würden sie auch erkennen, dass sie die Möglichkeit haben, Druck auf ihre Regierung auszuüben, um das iranische Volk wirklich und dauerhaft tatkräftig zu unterstützen.

 

"Wir haben klare Forderungen an die Bundesregierung. Alle die hier leben, können uns helfen"

 

Was können wir in Deutschland oder Thüringen tun, um die Revolution zu unterstützen? Was würdest Du Dir wünschen?

Behandelt das Regime im Iran nicht als legitime Regierung des iranischen Volkes! Es ist praktisch eine Besatzungsmacht, die das iranische Volk als Geisel genommen hat. Die Botschaft hier ist nicht die Botschaft des iranischen Volkes. Die meisten Unternehmen, die aus dem Iran Handel treiben, befinden sich im Besitz des Regimes und der Revolutionsgarden, und die Gewinne, die sie erzielen, fließen in die Unterdrückung des iranischen Volkes. Wir haben deshalb klare Forderungen an die Bundesregierung. Alle die hier leben können uns helfen, indem sie entweder E-Mails oder Briefe an ihre Abgeordneten senden, oder sich gleichzeitig mit uns den Demonstrationen und Kundgebungen der iranischen Gemeinschaft in Deutschland anschließen.

Unsere Forderungen lauten: 1. Stoppt die Verhandlungen mit der Islamischen Republik und zieht ihre Botschafter*innen ab! 2. Erhöht den Druck auf die Islamische Republik, alle Hinrichtungen einzustellen und alle politischen Gefangenen freizulassen! 3. Verweist alle Oligarchen der Islamischen Republik des Landes, da viele Angehörige des Regimes in Deutschland leben und arbeiten, Wertanlagen und Einfluss haben. Wir verlangen dieselben Maßnahmen, die vielerorts auch gegen russische Oligarchen ergriffen worden sind! 4. Stuft das Korps der Iranischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation ein!

Hast Du Kontakt zu Menschen, die derzeit für Frauenrechte und Freiheit im Iran kämpfen?

Natürlich. Ich bleibe mit ihnen in Kontakt und versuche, ihnen auf jede erdenkliche Weise zu helfen. Vorsichtshalber kann ich keine weiteren Angaben machen. Aber ich möchte an dieser Stelle auch anmerken, dass ich auch auf die Männer der Revolution stolz bin. Das islamische Regime gibt Männern die Macht, über sämtliche Aspekte des Lebens Ihrer Frauen und Töchter zu entscheiden, und doch opfern viele ihr Leben für die Rechte und Freiheiten der Frauen. Ich sehe das als Vorbild für alle feministischen Bewegungen, die nur dann Erfolg haben können, wenn sie Menschen jeglichen Geschlechts hinter sich vereinen.

 

"Wir müssen stark bleiben und weitermachen, um das Ende des Regimes zu erleben. Ich hoffe auf einen freien und demokratischen Iran."

 

Wie wirkt sich die Revolution im Iran auf Deinen Alltag aus?

Vor der Revolution war ich eine Studentin, die ihr Land verließ, um ihre Träume zu verwirklichen, enttäuscht von den Entwicklungen in der Heimat. Durch die Revolution wurde mir plötzlich klar, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein war, dass wir viele sind und dass wir gemeinsam unsere Würde und Freiheit für den Iran zurückgewinnen können. Es hat sich viel verändert, nun verbringe ich meine ganze Freizeit damit, die Revolution zu unterstützen, und das gibt auch mir Kraft. Ich stehe definitiv unter starkem Druck und Stress wie jede*r andere Iraner*in im Ausland. Wenn ein Familienmitglied oder Freund angeschossen oder verhaftet wird, findet man keinen Schlaf mehr. Oft bin ich überwältigt von der schieren Boshaftigkeit der Verbrechen des Regimes. Jedes Mal, wenn ich von einer Hinrichtung, einem Mord, einer Vergewaltigung oder der Tötung eines Kindes höre oder lese, ist es unglaublich schwierig, zurück zu meinem Leben hier zu finden. Es gibt Zeiten, in denen ich wünschte, ich wäre im Iran, um zu kämpfen und meine Wut auf die Straßen dort tragen zu können, allein schon um meine Gefühlswelt in Einklang mit der Welt um mich herum bringen zu können. Obwohl wir gleichzeitig Traurigkeit, Wut, Leid und Hoffnung erleben, müssen wir stark bleiben und weitermachen, um das Ende des Mullah-Regimes zu erleben.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft des Irans und aller Iraner*innen?

Ich hoffe auf Frieden und Freiheit für alle Menschen auf der Welt. Ich hoffe auf einen freien und demokratischen Iran, der von seinem eigenen Volk regiert wird. Von diejenigen, die an Demokratie und Menschenrechte glauben. Ich möchte, dass der Nahe Osten in Zukunft mit seiner reichen Geschichte und Kultur zur freien Welt beiträgt. Ich hoffe, eines Tages eine geeinte Welt der gleichen Menschenrechte zu erleben, ohne erniedrigende Kategorisierungen wie die erste, zweite und dritte Welt.

 

"Ein freier und demokratischer Iran wäre eine Stütze und ein Hoffnungsträger für einen friedlichen Nahen Osten."

 

Gibt es noch etwas, das Du hinzufügen möchtest?

Ich möchte betonen, dass der Iran eine wichtige Nation für die Welt ist, nicht nur wegen seiner geopolitischen Lage und seiner riesigen natürlichen Ressourcen, nicht nur wegen seiner Geschichte und seiner vielfältigen Ethnien mit verschiedenen Sprachen, Gerichten, Kleidungsstilen, Künsten, Traditionen und Religionen, sondern auch wegen seiner Kultur und seiner Menschen. Der Iran hat Wissenschaftler*innen, Philosoph*innen, Denker*innen, Ärzt*innen, Astronom*innen, Entdecker*innen und Erfinder*innen. Das Einzige, was der Iran nicht hat, ist Freiheit. In Freiheit könnte der Iran eine große Kraft für das Gute sein, um der Welt um sich herum zu helfen und sie weiterzuentwickeln. Der Iran ist ein besonderes Land mit einer langen und zivilisierten Geschichte, in der es weder kolonialisiert wurde noch andere Länder kolonialisiert hat. Ein freier und demokratischer Iran wird seine Umgebung nicht länger destabilisieren, sondern wäre eine Stütze und ein Hoffnungsträger für einen friedlichen Nahen Osten. Die Frauen im Iran haben nicht nur die iranischen Männer inspiriert, sondern sie sind auch eine Ermutigung für Frauen und Männer in anderen Ländern wie etwa in Afghanistan. Ihr Freiheitskampf kann einen positiven Dominoeffekt auf den Rest der Welt haben.

 

 

*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt

 

Das Gespräch führten Marius Dörner und Isabella Gee im Januar 2023 schriftlich für die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen.

Übersetzt aus dem Englischen von Marius Dörner.