„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen“, schrieb Bertolt Brecht vor vielen Jahren. Doch was passiert, wenn ein Pass von den Behörden gar nicht anerkannt wird? Für Schutzsuchende aus Somalia stellt sich diese Frage regelmäßig – und ist mit großen Herausforderungen für die Betroffenen verbunden.
"Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfach Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann, und doch nicht anerkannt wird", schrieb Bertolt Brecht in seinem Buch "Flüchtlingsgespräche", das im Winter 1940/41 veröffentlicht wurde. Auch im Jahr 2024 hat dieser Satz nichts an Bedeutung eingebüßt. Der Nationalpass war und ist das Dokument, welches einem Menschen Möglichkeiten, Wege und Rechte zugesteht oder verwehrt – je nachdem, wie 'gut' er eben ist, dieser Pass.
Als Mensch mit deutschem Pass macht man sich in der Regel keinerlei Gedanken über die Bedeutung eines Passes, schlichtweg, weil man es nicht muss, denn der deutsche Pass „funktioniert“: Er klärt die Identität der Besitzer*innen, er ist international anerkannt, er macht Grenzübertritte ohne weitere Probleme möglich, er schafft also Bewegungsfreiheit und wird nicht angezweifelt. So geht es vielen Menschen, die zwar keinen deutschen Pass, aber einen aus einem Land des Globalen Nordens haben. Es kann jedoch auch ganz anders aussehen. Insbesondere für Menschen auf der Flucht kann ein gültiger Pass zumindest einige Fluchtwege eröffnen, während das Nichtbesitzen sowohl auf der Flucht als auch bei der Ankunft im Zielstaat hohe Hürden mit sich bringt.
Pässe aus Somalia
Doch auch wenn man einen Reisepass aus seinem Herkunftsland bei sich trägt, sind damit nicht alle Probleme gelöst. Was das genau bedeuten kann, zeigt das Beispiel von Somalia. Durch den eskalierenden Bürgerkrieg gegen das sozialistische Siad-Barre Regime in Somalia im Jahr 1990 sowie dem daraus resultierenden Staatszerfall inklusive der Abspaltung Somalilands im Jahr 1991 ist das Personenstandswesen in Somalia weitgehend zusammengebrochen. Aus diesem Grund gehen zahlreiche Staaten, u.a. Deutschland, davon aus, dass die Authentizität von somalischen Pässen, die nach 1991 ausgestellt wurden, nicht gewährleistet werden kann und erkennen diese deswegen nicht an. Nie. Daher die Frage: Wo ist dein Reisepass von 1991? Und was ist, wenn du erst nach 1991 geboren wurdest? Dann heißt es für Somalier*innen: Du stehst vor massiven Problemen.
Diese lassen sich gewissermaßen in zwei Bereiche aufteilen, die sich aus der Rechtsgrundlage ergeben: Zum einen die im Aufenthaltsgesetz definierte Passpflicht, zum anderen die Rolle des Passes bei der Identitätsklärung. In Deutschland gilt gemäß §3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) grundsätzlich die Passpflicht, d. h., wenn man sich als nicht-deutsche*r Staatsbürger*in in Deutschland aufhalten will, muss man im Besitz eines gültigen Nationalpasses oder Passersatzdokuments sein. Des Weiteren muss im Zuge der Erteilung eines Aufenthaltstitels laut §5 AufenthG grundsätzlich die Identität „geklärt“ sein, sprich der deutsche Staat will wissen, wer man ist, inklusive vollem Namen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit etc. Die Klärung der Identität erfolgt vorrangig mittels eines gültigen Passes bzw. Passersatzes. Erst nachrangig werden, wenn überhaupt, verschiedene andere Dokumente aus dem Herkunftsland, zum Beispiel ID-Cards (wie der deutsche Personalausweis), Geburtsurkunden, Militärausweise, Schulzeugnisse oder eine Eidesstattliche Versicherung, zur Klärung der Identität mittels eines kohärenten Gesamtbildes akzeptiert.
Für Menschen aus Somalia stellt die Nichtanerkennung sämtlicher nach 1991 ausgestellter somalischer Pässe durch Deutschland eine nahezu unüberwindbare Hürde bei der aufenthaltsrechtlichen Verfestigung und bei der Entwicklung einer Bleibeperspektive dar.
Die Geschichte von Omar
Im folgenden Abschnitt wollen wir die beeindruckende Geschichte von Omar1, einem damals unbegleiteten, minderjährigen somalischen Geflüchteten, der sich ohne Papiere auf den Weg nach Europa machte, teilen. Seine Reise führte ihn durch Somalia, Äthiopien, Sudan, Libyen und Italien, bevor er schlussendlich im Jahr 2014 in Schweden ankam. Doch Schweden gab seinem Asylantrag nicht statt und versuchte, ihn stattdessen nach Somalia abzuschieben, was wiederum ohne die nötigen Papiere nicht möglich war. Also gaben sie ihm den Status „staatenlos“ und baten ihn, einen Beweis für deine somalische Identität zu besorgen. Omar entschied sich, dafür an die somalische Botschaft in Deutschland heranzutreten. Das gelang ihm und er entschied sich daraufhin, in Deutschland zu bleiben anstatt nach Schweden zurückzukehren.
Doch obwohl er jetzt einen somalischen Pass besitzt, hat sich seine Situation einer Identitätsklärung nicht maßgeblich verbessert, da auch Deutschland somalische Pässe, die nach 1991 ausgestellt wurden, nicht anerkennt. Omars Pass wird nicht als gültig anerkannt und seine Identität ist lediglich als „beruht auf eigenen Angaben“ vermerkt. Was diese schier unüberwindbaren Herausforderungen der Identitätsklärung sowie die reale Angst vor einer Abschiebung in ein unsicheres Land in einem Menschen auslöst, ist schwer zu beschreiben:
„Ich kam am 26.07.2020 in Deutschland an, um die Ausweispapiere der somalischen Botschaft zu erhalten. Dann wurde mir klar, dass Schweden meinen Asylantrag nicht anerkennt. Am 06.01.2023 wurde beschlossen, mich von Deutschland nach Schweden abzuschieben, wohl wissend, dass Schweden mich wahrscheinlich zurück nach Somalia abschieben würde. Der Gedanke, an einen Ort zurückzukehren, an dem mein Leben in Gefahr sein könnte, erfüllte mich mit Angst und Verzweiflung. Das war einer der tiefsten Momente in meinem Leben. Jede Nacht verfolgt mich die Vorstellung, dass mein Leben zu Ende sein könnte, wenn ich gezwungen werde, nach Somalia zurückzukehren. Es ist eine Angst, die mich verzehrt, die mich zu Tränen rührt und mich völlig hoffnungslos erscheinen lässt. Das Leben ist nicht fair, der Kampf ist real und der Schmerz gehört für manche Menschen, wie mich, zum Leben dazu.“ (Übersetzung der Verfasser*innen)
Diese Geschichte zeigt anschaulich die Doppelstandards des deutschen Staates im Umgang mit Menschen, die hier nicht willkommen sind. Während somalische Pässe zum Zweck der Identitätsklärung oder zum Erfüllen der Passpflicht nicht anerkannt werden, sind sie zur Feststellung der Identität bei einer Abschiebung, die auch zu einer Kettenabschiebung in das für die Betroffenen unsichere Herkunftsland führen kann, akzeptiert.
Doch trotz der strukturellen Schwierigkeiten aufgrund der Nichtanerkennung der somalischen Pässe gibt es Handlungsoptionen, um eine aufenthaltsrechtliche Verfestigung zu erwirken. Hier ist in Anbetracht der Rechtslage insbesondere auf die Möglichkeit von eidesstattlichen Versicherungen z.B. von Angehörigen mit geklärter Identität zu verweisen.2 Dass dies grundsätzlich möglich ist, zeigen auch die Einbürgerungszahlen, laut denen im Jahr 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 635 Somalier*innen eingebürgert wurden. Für Betroffene lohnt es sich Migrations-, bzw. Rechtsberatungsstellen aufzusuchen und sich über etwaige Handlungsoptionen zu informieren.3
Während nun Politiker*innen auf Landes- und Bundesebene über migrationsrechtliche Veränderungen diskutieren, die das Flüchtlingsrecht sowie das individuelle Asylrecht weiter aushöhlen und vermehrt Abschiebungen in unsichere Länder forcieren, findet die Perspektive der Betroffenen wenig Beachtung. Dabei geht es um sie, ihre Sicherheit, ihre Zukunft, ihr Leben.
Die aus einer erzwungenen Flucht entstehenden Herausforderungen und Probleme sind auch ohne zusätzliche Belastungen durch fast unerfüllbare bürokratische Anforderungen massiv. Menschen auf der Flucht kämpfen gegen Stereotype, überwinden stark geschützte Grenzen, und bürokratische Hürden in der Zielgesellschaft. Was das für geflüchtete Menschen bedeutet, zeigt Omars persönliche Lebensgeschichte:
„Meine Geschichte ist eine Geschichte des Überlebens gegen alle Widrigkeiten. Ich erzähle sie nicht nur, um die Kämpfe von Flüchtlingen und Migranten zu beleuchten, sondern auch, um andere an die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes im Angesicht von Widrigkeiten zu erinnern.“ (Übersetzung der Verfasser*innen)
Omar befindet sich nun seit Juli 2020 in Deutschland. Gerade wartet er auf die Entscheidung des BAMF über seinen Asylantrag in Deutschland, seine gegenwärtige Aufenthaltsgestattung gilt bis Juni 2025. Die Zeit bis jetzt hat er genutzt um Deutsch zu lernen und eine Arbeit zu finden. Ob er jedoch in Deutschland bleiben darf, ist unsicher. Diese Unsicherheit liegt wie ein Schatten auf seinem erfolgreichen Ankommen in Deutschland.
Footnotes
- 1
Um die Persönlichkeitsrechte der Hauptperson zu schützen, haben wir einen Alias-Namen verwendet. Der tatsächliche Name ist den Verfasser*innen bekannt.
- 2
Hierzu gibt es eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Mainz vom 25.03.2022 (Aktenzeichen: 4 K 476/21.MZ), bei dem ein somalischer Staatsbürger durch Zeugenaussagen seine Identität klären und somit eine Einbürgerung erwirken konnte
- 3
In Schleswig-Holstein gibt es z.B. beim Flüchtlingsrat in Kiel eine kostenlose Rechtsberatung.