Warum es richtig ist, vom Kampf „gegen rechts“ zu sprechen

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Die landesweiten Demonstrationen gegen die AfD halten an. Aus konservativen Kreisen wird jedoch Kritik an dem oft verwendeten Slogan „gegen rechts“ laut. Unsere Kolumnistin Liane Bednarz erläutert, warum die Bezeichnung richtig ist und wo die Trennlinie zwischen konservativem und (neu)rechtem Denken verläuft. Die Ausladung von Unionspolitiker*innen bei einigen Demos sieht sie kritisch – der Kampf gegen rechts kann nur gelingen, wenn die Demokratie pluralistisch bleibt.

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Demonstration "Gemeinsam gegen Rechts" in München am 21. Januar 2024

Es ist weiterhin beeindruckend, was für eine Welle landesweiter Demonstrationen gegen die AfD die „Correctiv“-Recherche zum Potsdamer Geheimtreffen zwischen AfD-Politikern, Rechtsextremisten, Unternehmern und Mitgliedern der Werteunion ausgelöst hat. In konservativen Milieus allerdings tauchen zunehmend Vorbehalte angesichts des Umstands auf, dass sich die Demos „gegen rechts“ und nicht nur gegen Rechtsextremismus richten. So sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) in einem Interview mit dem „Münchner Merkur“, sie werde auf keine Veranstaltung gehen, wo gegen ‚rechts‘ demonstriert wird.

Ganz generell herrscht in diesen Kreisen schon lange eine ausgeprägte Skepsis, was den Begriff „Kampf gegen rechts“ angeht. Dafür gibt es teils nachvollziehbare Gründe, teils aber auch eine falsche Empörung, die auf Unwissenheit basiert. Wichtig ist also eine Begriffsklärung. Und sodann ist es an der Zeit für eine Betrachtung der Demos in diesem Lichte.

Die Selbstverharmlosung der Neuen Rechten als „konservativ“

Die Empörung in konservativen Kreisen entzündet sich daran, dass viele Konservative Sorge davor haben, die Demos bzw. der „Kampf gegen rechts“ richte sich gegen alle Menschen, die rechts der Mitte angesiedelt sind. So sagte Schröder, sie sei „der festen Überzeugung“, dass "dieser Ausdruck ‚Demo gegen rechts‘ keine sprachliche Faulheit, sondern von den Veranstaltern genau so gemeint ist: ein Kampf gegen alles rechts der Mitte.“

Doch so ist es begrifflich nicht, zumindest nicht in der Theorie. Vielen Konservativen in Deutschland ist schlichtweg nicht bewusst, dass anders als etwa in Frankreich oder Italien der Terminus „mitte-rechts“, mit dem die inzwischen dort bedeutungslosen gemäßigt konservativen Parteien gemeint waren, in Deutschland nicht funktioniert. Das liegt daran, dass die Neue Rechte hierzulande sich traditionell als „konservativ“ etikettiert und so selbstverharmlost. Egal ob die gemäßigt neurechte Wochenzeitschrift „Junge Freiheit“ oder radikale Neurechte im Umfeld von Schnellroda oder der Rechtextremist Björn Höcke: sie alle nennen sich „konservativ“. Während der radikale Teil der Neuen Rechten sich selbst zwar auch als „rechts“ bezeichnet, lehnt die „Junge Freiheit“ den Begriff sogar für sich ab.

Doch das neurechte Gedankengut unterscheidet sich fundamental von dem klassischen konservativen Denken, wie es sich in CDU und CSU als eine von drei Wurzeln neben der liberalen und der sozialen seit der Nachkriegszeit herausgebildet hat. Es basiert auf den drei Säulen Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus. Die heutige Neue Rechte – der Begriff leitet sich von der französischen „Nouvelle Droite“ ab, die Ende der 1970er Jahre ihren Ursprung hat – steht in der geistigen Tradition der Weimarer Rechtsintellektuellen, also Vordenkern wie Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck oder Oswald Spengler, dessen 1918 erschienenes Buch „Der Untergang des Abendlands“ bereits im Titel wie eine Art frühe PEGIDA klingt. Die meisten Anhänger dieser Bewegung – sieht man einmal von Carl Schmitt ab – hielten Distanz zu den Nationalsozialisten, waren aber mit ihrem antidemokratischen, antipluralistischen und völkischen Denker deren Wegbereiter.

Nach dem Krieg verfolgte der Schweizer Armin Mohler, der sich der Waffen-SS angeschlossen, es aber nicht an die Front geschafft hatte, den Versuch, die Weimarer Rechtsintellektuellen von jedweder gedanklichen Verstrickung mit den späteren Nationalsozialisten reinzuwaschen, indem er sie in seiner 1949 publizierten Dissertation als „Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932“ bezeichnete und so verharmloste. Wie gezielt Mohler mit der Wahl des Begriffs „konservativ“ vorging, berichtete er zu Beginn der 1970er Jahre. Für ihn sei „die Definition, was ‹konservativ› sei“, „bereits ein politischer Akt“. Und zwar deshalb: „In der Politik will niemand mehr rechts sein, man will ‹in der Mitte› stehen und nenne sich höchstens konservativ.“ Einen Schuldigen dafür machte er auch aus: „Schuld daran tragen die ‚alliierten Besatzungsmächte‘ und ihre willigen Helfer in Medien und Politik.“ Auch letzteres klingt wie PEGIDA.

Rechts beginnt dort, wo der Konservatismus der Unionsparteien aufhört

Leider hatte Mohler Erfolg mit diesem Trick und sammelte schnell eine große Anhängerschaft um sich. Bis heute ist er der wichtigste Ahnherr der Neuen Rechten. Und die begriffliche Verwirrung um die Begriffe „konservativ“ und „rechts“ hat er uns eingebrockt. Die Historikerin Martina Steber hat dies in ihrem 2017 erschienen Buch „Die Hüter der Begriffe – Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1980“ präzise beschrieben. Darin weist sie darauf hin, dass „beide Varianten des Konservativen“, also die rechte und die CDU/CSU-Variante, seit der Nachkriegszeit „die politische Kultur der Bundesrepublik fortan prägen – bis in unsere Gegenwart hinein“. Und genau deshalb ist die begriffliche Unterscheidung so wichtig. Die geistige Trennlinie zwischen CDU/CSU-Konservatismus und gefährlichem Denken verläuft begrifflich wie inhaltlich zwischen „konservativ“ und „rechts“ und nicht erst zwischen „konservativ“ und „rechtsradikal“. Denn die Neue Rechte wird sich auch weiterhin als „konservativ“ verharmlosen, auch wenn Maximilian Krah, der Spitzenkandidat der Partei für die kommende Europaparlamentswahl, seit ein paar Monaten darauf setzt, sich explizit „rechts“ und nicht mehr „konservativ“ zu nennen.

In Deutschland beginnt rechts also dort, wo der Konservatismus der Unionsparteien aufhört. Innerhalb des rechten Denkens beginnt es mit dem Rechtspopulismus, also etwa der antipluralistischen Vorstellung, man sei die einzig wahre Stimme des Volkes. Je völkischer und damit ethnopluralistischer das Denken wird, wie etwa bei dem Potsdamer Geheimtreffen, umso mehr spricht man von Rechtsradikalismus. Beides ist noch vom Grundgesetz gedeckt. Erst dann, wenn sich dieses Denken offen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und dort insbesondere gegen das Prinzip der Menschenwürde in Artikel 1 richtet, ist die Grenze zum Rechtsextremismus überschritten. Genau deshalb schaut der Verfassungsschutz bei der AfD auch so genau hin.

Insofern ist es richtig, dass sich die Demos begrifflich „gegen rechts“ richten. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis aber ist das Unbehagen nicht weniger Konservativer leider zunehmend berechtigt, denn teilweise werden sie von links gekapert. Zum einen thematisch, mit Punkten, die mit der „Correctiv“-Recherche, in der es um abstoßende, völkische „Remigrations“-Pläne ging, über die in Potsdam gesprochen wurde, rein gar nichts zu tun haben. Kristina Schröder berichtet von Demoteilnehmenden, die der Union politisch nahestehen: „Sie wollten gegen menschenverachtende Inhalte demonstrieren, kamen dann aber irritiert zurück. Auf den Bühnen wurde agitiert gegen die Kontrolle von Migrationspolitik, gegen Kapitalismus als angebliche Vorstufe des Faschismus.“

Für den Kampf gegen rechts braucht es alle Demokraten

Persönlich sehe ich manche Positionen von Kristina Schröder, die sehr viel konservativer als ich ist, kritisch und finde ihr Engagement mit dem Zeithistoriker Andreas Rödder in der „Denkfabrik R21“ sehr problematisch. Aber ihr Befund stimmt in diesem Fall. Auf manchen Demos waren Unionspolitiker und -Mitglieder unerwünscht. Besonders erschreckend äußerte sich Lisa Pöttinger, die Versammlungsleiterin der Münchner Demo „Gemeinsam gegen rechts“, die kundgetan hatte, CSU-Politiker seien dort unerwünscht. Und in bestimmten linken Kreisen richtet sich der Begriff „gegen rechts“ tatsächlich seit Jahren auch gegen CDU/CSU und FDP. Wie wichtig es ist, dass Linke gerade auf den Demonstrationen genau zwischen Konservativen und Rechten unterscheiden, hat der Publizist Sascha Lobo – selbst linksliberal – im Januar in einer klugen „SPIEGEL“-Kolumne deutlich aufgezeigt: „Die Union mit der AfD in einen Topf zu werfen, wie auf den Demonstrationen am Wochenende zum Teil geschehen, ist unverschämt und geschichtsvergessen. Niemand freut sich mehr darüber als die AfD selbst.“

Überhaupt gibt es diverse erfreulich klare Äußerungen von Publizisten, die alles andere als konservativ sind. So rief Sabine am Orde – wenngleich leider auch uninformiert über den Begriff „rechts“ –in der „taz“ dazu auf, CDUler nicht von den Demos auszugrenzen. Unter dem Titel „Linke, lasst das Mauern sein“, warf der Journalist und Rechtsextremismusexperte Ronen Steinke in der „Süddeutschen Zeitung“ einer Demo in Münster zu Recht „Kleingeistigkeit“ und „eigene Selbsterhöhung“ vor. Dort hatte der Leiter eines Bündnisses mit dem Namen „Keinen Meter den Nazis“ dem CDU-Oberbürgermeister untersagt, auf der Versammlung zu sprechen. Der intolerante Mann ist Mitglied der grünen Stadtratsfraktion. Steinke erwähnte zudem, dass die überhebliche Haltung gegenüber Konservativen „einige Progressive und Linke bei den von ihnen initiierten Demos in den vergangenen Wochen zwar nicht offen ausgesprochen [haben], aber sich doch immer wieder anmerken lassen.“ Für Steinke ist der Befund eindeutig: „Es richtet Schaden an“. Frida Thurm schrieb auf „ZEIT Online“, dass sich aus den Versammlungen nur dann eine Bürgerbewegung formen könne, „wenn Organisatoren nicht ausgrenzen“. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz zeigte Klarheit und nannte das Vorgehen in Münster auf „X“ „idiotisch und falsch“.

Und auch Marcus Bensmann, der die „Correctiv“-Recherche geleitet hat, und übrigens selbst nicht links ist, was die AfD besonders ärgern könnte, sagte glasklar jüngst, dass man CDU- und CSU-Anhänger nicht mit AfDlern „in einen Sack werfen darf“. Seine präzisen Ausführungen dazu ab Minute 57.10 sollte man sich anhören.  

Die Demokratie kann nur gegen, jawohl: rechts gewinnen, wenn sie das bleibt, was sie ist: pluralistisch. Das müssen autoritäre Strömungen innerhalb der Linken begreifen. Und sowohl sie als auch Konservative müssen endlich verstehen, was der inhaltliche Unterschied zwischen „konservativ“ und „rechts“ ist und präzise bei der begrifflichen Unterscheidung werden.

Die heimat.kolumne ist ein neues Format auf Heimatkunde. Hier mischen sich die Publizistin Liane Bednarz und der Schriftsteller Hakan Akçit regelmäßig in aktuelle Debatten rund um den Kampf gegen rechts und die Verteidigung der offenen, pluralen Gesellschaft ein. Liane Bednarz schreibt aus einer liberal-konservativen Perspektive mit Fokus auf die Abgrenzung von konservativem und neurechtem Denken, Hakan Akçit schreibt aus einer postmigrantischen Perspektive mit einem Fokus auf die Einwanderungsgesellschaft und den Kampf gegen Rassismus.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: heimatkunde.boell.de