Schallverstärkung für Iran: Esther Mischke

Esther Mischke ist Erzieherin, Cafébetreiberin und Studentin. Seit Beginn der Revolution in Iran ist sie aktivistisch tätig und hat die Gruppe "Zhina Ye Iran" in Kiel mitgegründet. Wir haben Esther getroffen und sie zur Revolution befragt. 

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Esther Mischke trägt eine schwarze Kappe und ein bedrucktes T-Shirt. Sie spricht in ein Mikrophon. Hinter ihr sind Teile der iranischen Flagge zu sehen.

Wer bist du und was ist deine Verbindung zu Iran?

Ich bin Esther, 28 und komme aus Kiel. Eigentlich bin ich Erzieherin und Studentin und mit meinem Partner in der Gastro selbstständig. Ein bisschen politisch aktiv war ich schon immer. Ich weiß nicht, ob ich mich als Aktivistin bezeichnen würde, weil ich das Gefühl habe, das müssen Menschen sein, die mehr machen als ich.

Meine Verbindung zu Iran hat eine längere Geschichte. Ich bin mit einer Grundschulfreundin aufgewachsen, durch die ich schon früh eine Verbindung zu Afghanistan und auch Iran hatte. Später habe ich Freundschaften mit iranischstämmigen Personen geknüpft und mein Partner ist iranischer Kurde. Sein Vater ist aus dem kurdischen Teil vom Iran und seine Mutter ist Perserin. Dadurch habe ich Familie im Iran. Ich bin außerdem intersektionale Feministin und kann bei dieser Revolution nicht weggucken.

Hast du das Gefühl, dass die Leute in Deutschland die Tragweite der Revolution gar nicht erkennen bzw. nicht wahrnehmen, dass sie auch mit ihnen zu tun hat?

Die Leute denken mittlerweile schon mehr „Ah, im Iran geht gerade eine Revolution ab“, wobei die deutschen Nachrichten eher noch das Wort Protest benutzen. Ich benutze das nicht, weil es ganz definitiv kein Protest, sondern eine Revolution ist. Und gleichzeitig fehlt teilweise noch die Verknüpfung, dass das auch mit uns zu tun hat, weil wir z.B. Geschäftsbeziehungen zur Islamischen Republik Iran haben und dementsprechend von dieser Diktatur profitieren.

Wenn wir uns unsere Vergangenheit anschauen, haben wir hier auch eine Diktatur gehabt. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der wir global zusammenhalten müssen, wenn man an Menschenrechte glaubt. In meinem Verständnis sind Menschenrechte universell und nicht nur für uns geltend.

Es kann nicht sein, dass es uns egal ist, wenn ein paar 1.000 Kilometer weiter ein 10-Jähriger, eine 5-Jährige oder ein 23-Jähriger ermordet werden. Das könnten genauso unsere Kinder sein.

Es ist nur pures Glück, dass wir hier sind, wir könnten genauso an jener Stelle sein. Wir haben hier eine Form von Freiheit, die es dort nicht gibt, die die Menschen aber wollen und dafür ihr Leben opfern. Wenn das ankommt, würden sich vielleicht auch mehr Leute dafür einsetzen.

Im Iran kam es ja schon vorher zu Protestbewegungen. Was würdest du sagen, ist der Unterschied jetzt in 2022?

Ich schließe mich da den klugen Köpfen der iranischen Diaspora an: Der große Unterschied besteht darin, dass es wirklich aus allen Regionen kommt, durch alle Schichten hindurchgeht. Alle sagen „Nein, wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr. Ihr habt uns alles genommen. Es gibt nichts mehr zu verlieren.“ Dementsprechend wird auch das eigene Leben eingesetzt. Es gab vor ein paar Wochen ein Video von einem Mann, der von der Basij erschossen wurde. Seine letzten Worte waren „Mein Leben für Iran“.

Welches Potenzial steckt in der Revolution?

Um das einordnen zu können, muss man verstehen, dass Iran richtig reich ist. Iran hat großen Einfluss auf den Irak und auf alle Nachbarländer. Die Diktatur unterstützt z.B. die Hisbollah oder die Hamas mit großen Mengen Geld. Wenn die Revolution gelingt, und das wird sie, wird dieses Geld bei diesen terroristischen Organisationen fehlen. Eine neue Regierungsform in Iran – sehr wahrscheinlich eine Demokratie, weil die Menschen das so wollen - würde eine Stabilität in den Nahen Osten und darüber hinaus bringen, z.B. die Verbindung mit Russland.

Darüber hinaus hat Iran begonnen, Uran auf 60% anzureichern. Es braucht 90 %, für eine Atombombe. Laut Atom-Verhandlungen waren nur 4 % erlaubt. Die islamische Republik könnte also bald Atomwaffen haben und dann haben wir ein riesiges Problem.

Inwieweit spielt eine ideologische und (kolonial)rassistische Brille der Länder des globalen Nordens eine Rolle in Bezug auf die Wahrnehmung und Unterstützung der Iran Revolution?

Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet, aber ich denke, dass wir historisch bedingt schon oft vom Leid anderer profitiert haben und auch herabwürdigend anderen Kulturen gegenüber sind – vor allem südlicheren oder östlicheren Regionen gegenüber.

Unsere und andere Regierungen scheinen manchmal mehr nach wirtschaftlichen Interessen als nach Menschenrechten zu handeln.

Ich glaube, dass wir das sehr gut ausblenden können. Wir vergessen einfach, dass alles miteinander zusammenhängt. Es funktioniert nicht, dass wir nur auf unser eigenes Wohl schauen und den Rest der Welt vergessen. Wir müssen als Staat anfangen Verantwortung zu übernehmen. Die Politik und die Bürger*innen müssen diese Revolution würdigen. Die Menschen in Iran setzen ihr Leben aufs Spiel!

Wie beurteilst du die mediale Berichterstattung zur Iran Revolution?

Es ist schon besser geworden. Am Anfang gab es kaum Berichte zur Ermordung Zhina Aminis. Wenn, dann wurde eins zu eins Staatspropaganda weitergegeben, was uns alle sehr enttäuscht und wütend gemacht hat. Das lag wohl auch daran, dass die politische Antwort aus Deutschland sehr spät kam. Frau Baerbock hat sich relativ zeitnah geäußert, aber unser Kanzler hat sich zu lange genommen. Aufgrund des Drucks und der kontinuierlichen Arbeit von Aktivist*innen wie Daniela Sepheri oder Gilda Sahebi ist das besser geworden.

Aber ich glaube, dass zum Beispiel zu den Massakern in Kurdistan nicht so viel berichtet wird, weil man dann auch die Massaker der Türkei an den Kurd*innen thematisieren müsste und das machen wir hier nicht, weil wir mit der Türkei einen dreckigen Deal haben. Man müsste dann anerkennen, dass Kurdistan tatsächlich mehr ist als eine Region.

Wie ist denn die Situation in Kurdistan?

Kurdistan und auch Belutschistan sind die Regionen in Iran, die am stärksten von Rassismus und Armut betroffen sind. Viele Menschen in Iran sind Muslim*innen und gehören den Schiiten an. Weil Belutsch*innen sunnitisch sind, werden sie diskriminiert. Zusätzlich sind sie sehr arm und die Menschen werden ausgebeutet.

Gerade aus Kurdistan kommen sehr große Teile der revolutionären Bewegung, wie auch bei den vorherigen Protesten.

Das Regime versucht es so zu drehen, dass Kurd*innen Separatist*innen seien, die gegen Iraner*innen kämpfen wollen, worum es absolut nicht geht. In Kurdistan und Belutschistan werden insgesamt die meisten Menschen von der iranischen Regierung erschossen und ermordet. Da ist auch schweres Kriegsgerät unterwegs. Die Menschen dort gehen trotzdem auf die Straße. Religion spielt da keine Rolle mehr, sie vereint der Kampf für Freiheit.

Wie müsste deiner Meinung nach eine angemessene Berichterstattung aussehen?

Im deutschen Journalismus vertraut man auf staatliche Quellen. Im Iran geht das nicht, weil die staatlichen Quellen Mittel der Diktatur sind. Man muss sich auf das beziehen, was Privatpersonen aufnehmen. Social Media spielt dabei eine Riesenrolle.

Es gab viele Talkrunden, zu denen Leute eingeladen wurden, die weder iranischstämmig waren noch Farsi sprachen, aber als Expert*innen gelabelt wurden. Währenddessen haben iranischstämmige Journalist*innen die ganze Aufklärungsarbeit geleistet, zum Beispiel Natalie Amiri. Diese Arbeit wird umsonst geleistet und müsste eigentlich bezahlt und honoriert werden. Dann müssten da nicht alte, weiße, deutsche Männer sitzen, die Tweets falsch übersetzen und ein falsches Bild spiegeln.

Hat Deutschland eine besondere politische Verantwortung gegenüber Iran?

Ja, weil wir profitieren oder profitiert haben. Es wird ja immer in Deutschland ganz groß vom Sozialstaat gesprochen und ich frage mich immer, wo hier das Soziale am Staat ist.

Außerdem haben wir aufgrund unserer Historie definitiv eine besondere Verantwortung, auch Nazideutschland hat Beziehungen zu Iran unterhalten und die iranischen Diktatoren finden die Ideen von Nazideutschland hervorragend. Z.B. Ahmadineschād hat groß propagiert, die Welt von Jüdinnen*Juden frei machen zu wollen.

Was wünschst du dir von der (weißen) deutschen Zivilbevölkerung?

Ich bin ja keine Iranerin, bin aber in einer Gruppe („Zhina Ye Iran”) organisiert. Wir hatten das Gefühl, in Kiel etwas machen zu müssen. Die Anmeldung habe ich als Deutsche übernommen, weil mir nichts passieren kann. Für Iraner*innen kann es gefährlich werden mit Namen aufzutauchen. Solche Dinge können Deutsche übernehmen, genauso wie praktische Dinge, Plakate drucken, Flyer verteilen oder Sticker machen. Das Bündnis gegen Antisemitismus unterstützt uns mit Hardware. Was auch wichtig ist: Laut sein, Petitionen teilen und Druck auf unsere Regierung ausüben. Die Politik muss man nerven und wenn das bedeutet, 1.000 Mal Olaf Scholz zu markieren. Das bringt etwas. Es bringt etwas, wenn Deutschland Sanktionen verhängt. Dann ziehen andere Staaten nach.

Und man kann auch seine iranischen Freund*innen einfach mal fragen, wie es ihnen geht oder ihnen etwas zu essen vorbeibringen.

Wenn ich an die Revolution denke, habe ich ein Bild im Kopf. Die Revolution ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es funktioniert nicht von heute auf morgen und es werden noch viele Menschen sterben. Leider. Wir sind nicht die, die den Marathon laufen, weil wir nicht da sind, aber wir können das Wasser reichen, damit die Leute weiterlaufen und das müssen wir machen.

Wir dürfen damit nicht aufhören. Wir haben eine Verantwortung ihre Stimmen zu verstärken, gerade wenn wir uns politisch im linken oder feministischen Spektrum befinden.

Was könnten weitere, auch politische Schritte sein?

Den iranischen Botschafter ausweisen. Er ist ein Unterstützer der Diktatur. Genauso die Kinder der iranischen Regierung – die leben ganz sicher nicht in Iran. Die leben ihr bestes Leben in Frankreich, in Deutschland, in Kanada, in den USA. Die machen Party, haben Geld ohne Ende und das ist Blutgeld. Es ist das Geld, was eigentlich der iranischen Bevölkerung zusteht. Sie haben Visa für diese Staaten, aber sie haben keine Staatsbürgerschaft. Man muss in diesem Fall als Staat eine ganz klare Linie fahren.

Auf Demos heißt es #SayHerName und gerufen wird Mahsa und nicht Zhina. Ihre Familie hat darum gebeten, den Namen Mahsa nicht mehr zu nutzen. Dennoch ist das in den sozialen Medien der am häufigsten verwendete Hashtag. Eure Gruppe benutzt aber Zhina.

Einmal vorab: Der Name Zhina ist in Iran nicht verboten, kurdische Namen sind nicht verboten. Was aber passiert, ist, dass im Amt eine rassistisch motivierte Person sitzt, die bestimmte Namen nicht zulässt. Zhina wurde amtlich nicht zugelassen, ihr wurde der Name Mahsa gegeben. Dennoch ist Zhina ihr richtiger Name. Diesen Hintergrund kennen nicht alle und auch in der iranischen Diaspora gibt es verschiedene Meinungen dazu. Unsere Gruppe hat sich entschieden, Zhina als Namen zu verwenden, weil wir mit dem Namen ihre Herkunft untermauern möchten – sie war iranische Kurdin. Aber der Name Mahsa ist der Code der Revolution geworden, und er ist so populär, dass es sehr schwierig ist, das jetzt umzukehren.

In Iran wurden jetzt die ersten Protestierenden hingerichtet.

Am Anfang haben wir in unserer Gruppe diskutiert, welche Aktionen wir machen können und ob das auf manche verstörend wirken könnte. Wir sind jetzt davon abgerückt, ob es verstörend sein könnte, weil in Iran tatsächlich Menschen hingerichtet, erschossen und ermordet werden. Wenn man sich anschaut, wer da hingerichtet wird und wofür, dann ist das einfach nur willkürlich. Allgemein verachte ich die Todesstrafe.

Neulich habe ich etwas Passendes gelesen – die Islamische Republik hat ihr Ansehen vor der Welt verloren und jetzt hat sie nichts mehr zu verlieren.

Sie versuchen mit allem, was sie noch haben, und das ist Gewalt, ihre Macht zu erhalten.

Das machen sie auch mit den Hinrichtungen. Mohsen Shekhari und Majidreza Rhanavard wurden im Abstand von vier Tagen hingerichtet. Beide waren 23 Jahre alt und wurden aus fadenscheinigen Gründen hingerichtet. Dafür, dass sie für ihre Menschenrechte eingestanden sind, dafür, dass sie frei sein wollen.

Wie sieht dein Alltag zurzeit aus?

Wir wachen seit drei Monaten mit dem Handy in der Hand auf und gehen wieder damit schlafen. Ich bin die ganze Zeit in einem Zustand zwischen Traurigkeit und Wut. In einem Moment freust du dich, dass der Generalstreik geklappt hat und im nächsten Moment trauerst du, weil eine weitere Person hingerichtet wurde. Gleichzeitig versuchen wir noch zu arbeiten, unsere Leben hier auf die Reihe zu kriegen und das ist alles sehr komisch. Trotzdem wollen wir auf gar keinen Fall aufgeben. Wir gehen immer weiter.

Du hast auf Social Media geschrieben, dass die Menschen in Iran ein Herz aus Feuer haben.

Ja und Feuer kann man nicht verbrennen. Ich glaube an diese Revolution und wir glauben alle daran. Ich glaube auch, dass diese Menschen nichts mehr stoppen kann. Sie opfern sich selbst für die Freiheit, es gibt nichts zu verlieren. Viele der ermordeten Menschen haben vorher gesagt „Habt keine Angst, gebt nicht auf. Wenn einer stirbt, dann stehen zehn wieder auf.“

Das Interview haben Helen Ruck und Nina Mumm am 12. Dezember 2022 in den Räumen der HBS SH geführt.