Nach dem letzten Partnertreffen im Februar in Gdynia, Polen, trafen sich die Partner*innen am 5. und 6. September in Kopenhagen, der Wiege des Liveability-Gedankens. Die dänische Hauptstadt gehört zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Gemeinsam mit den Partner*innen des Liveability-Projekts diskutierten unter anderem der Stadtplaner Jan Gehl und Bettina Werner, Mitbegründerin des Co-Urban Design Collective, die Entwicklungen des Liveability-Konzepts in Kopenhagen und deren Ableitungen für die Partnerstädte im Ostseeraum.
Das Treffen, organisiert vom dänischen Kulturinstitut (DKI), stand unter dem Titel „Kopenhagens Weg zur Lebensqualität der Zukunft: Ein Statusbericht basierend auf generationenübergreifenden Erfahrungen“. Es beleuchtete die Herausforderungen und Entwicklungen Kopenhagens hin zu einem lebenswerten urbanen Raum, insbesondere am Beispiel von Refshaleøen.
Es wurde klar, dass die Erfolgsfaktoren Kopenhagens nicht einfach kopiert werden können, da sie durch lokale Gegebenheiten, Entscheidungen und Menschen geprägt sind. Lebensqualität sei nicht ausschließlich über Indizes zu bewerten, da Faktoren wie Klimawandel und Migration nur unzureichend berücksichtigt werden.
Inspirierender Auftakt in Refshaleøen
Bei 27 Grad und keiner Wolke am Himmel zeigte sich Kopenhagen dem Liveability-Team von seiner Sonnenseite. Die Einwohner*innen und Besucher*innen tummelten sich an den unzähligen Badestegen und genossen die letzten heißen Sommertage.
Mit der Fähre ging es auf die Insel Refshaleøen. Dort startete das Programm mit einem besonderen Opener: einer geführte Tour von Trevor Davies über die ehemalige Industrieinsel. Der bedeutende Kulturmanager und Berater in den Bereichen Stadtentwicklung und Kulturpolitik war Mitbegründer und langjähriger Leiter des Copenhagen International Theatre, das innovative interkulturelle Projekte und künstlerische Programme entwickelt. Außerdem ist er Initiator des beliebten Metropolis Festival in Kopenhagen, das urbane Räume durch Performance-Kunst neu belebt. Davies berät zudem Städte wie Istanbul, um Kunst und Kultur in die Stadtgestaltung zu integrieren.
Die Insel im Hafen von Kopenhagen hat sich in den letzten Jahren zu einem kulturellen Hotspot entwickelt. Ursprünglich war sie ein bedeutender Industrie- und Werftstandort, vor allem bekannt durch die große B&W-Werft (Burmeister & Wain), die dort bis in die 1990er Jahre Schiffe baute. Nach dem Niedergang der Industrie unterlag Refshaleøen einem vielbeachteten städteplanerischen Wandel. Gebäude wurden saniert und gaben Unternehmen der Kreativbranche und des Handwerks ein neues Zuhause. Es etablierten sich Flohmärkte, Kulturleben und Gastronomie. Heute ist Refshaleøen ein vielseitiger Raum für Kunst, Festivals und Events. Die Insel verbindet Industrieromantik mit modernen kulturellen Angeboten und ist besonders bei Kreativen und Besucher*innen beliebt, die das weniger konventionelle Kopenhagen erleben möchten.
Es ist jedoch fraglich, inwieweit Refshaleøen in seiner jetzigen Nutzung in Zukunft erhalten bleiben wird. Claus Hovmøller Jensen, der Entwicklungsleiter bei Refshaleøens Ejendomsselskab A/S, sprach über die Entwicklungspläne für Refshaleøen und die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, damit das Gebiet auch weiterhin ein Raum für Kreativität und gemeinschaftliches Engagement bleibt, obwohl es mit Wohn-, Büro- und Verkehrsflächen überplant wird.
Ihr Weg führte die Gruppe zur Location Teaterøen (die “Theaterinsel”), ein kreativer Theater- und Performance-Raum, die unabhängigen Künstlern und Theatergruppen einen Ort bietet, um experimentelle und oft interdisziplinäre Kunstformen zu entwickeln und aufzuführen. Das Programm umfasst eine breite Palette von Produktionen, darunter Theater, Tanz, Performance-Kunst und Workshops. Teaterøen ist bekannt für seine unkonventionelle, flexible Umgebung, die es Künstler*innen ermöglicht, mit Raum und Publikum auf kreative Weise zu arbeiten. Die Location selbst, eine ehemalige Industriehalle, bietet eine besondere Atmosphäre, die gut zur alternativen und experimentellen Szene auf Refshaleøen passt. Also eine ideale Umgebung für den ersten Tag des Partnermeetings. Während der erste Teil des Tages den Partner*innen für den internen Austausch und zur Vertiefung diente, wurde der zweite dann öffentlich: Das neue Format “Liveability Talks” feierte Premiere. Somit öffnete das erste Mal das Projekt Liveability seine Türen für das Publikum.
Der erste „Liveability Talk: Kopenhagens Weg zur Lebensqualität der Zukunft: Ein Statusbericht basierend auf generationenübergreifenden Erfahrungen“
Anschließend fand dann der langersehnte Launch der „Liveability Talks“ statt. Das neue Format zielt darauf ab, den Dialog über die Gestaltung lebenswerter Städte zu fördern. Bei den „Liveability Talks“ sollen die Erfolgsgeschichte, Herausforderungen und Erkenntnisse aus Städten und urbanen Räumen, die bereits innovative Lösungen umgesetzt haben, im Fokus stehen. Renommierte Expert*innen, Vordenker*innen verschiedener Disziplinien und Repräsentanten aus Städten teilen ihre Erfahrungen und Einsichten.
Bei dem Auftakt zeigte Trevor Davies mit Stadtplaner und Architekt Jan Gehl die Reise Kopenhagens auf. Daneben beleuchteten die Perspektiven von Knud Holt Nielsen, Mitglied des Kopenhagener Stadtrats und des Ausschusses für Umwelt und technische Angelegenheiten, sowie der Entwicklungsdirektor der Refshaleøens Development Company die Entwicklung der Stadt, Claus Hovmøller Jensen. Gekrönt wurde der Talk von Bettina Werner. Die Mitbegründerin und Projektmanagerin des Co-Urban Design Collective, diskutierte die Herausforderungen der Gentrifizierung und brachte die feministische Sichtweise mit ein. Die Geschichte Kopenhagens zu einer der lebenswertesten Städte der Welt wurde diskutiert, aber auch die Herausforderungen und die Dilemmas der zukünftigen Entwicklung besprochen.
Im Rahmen des Dialogs erörterten die Speaker*innen vor dem interessierten Publikum, wie die Stadt durch innovative Planung und Bürgerbeteiligung eine hohe Lebensqualität erreichen konnte und heute als herausstechendes Beispiel einer lebenswerten Stadt steht. Das sah in der Vergangenheit nicht immer so aus. Was macht also eine Stadt wie Kopenhagen so lebenswert? Ist es die intelligente Stadtplanung, die Vielzahl an öffentlichen Räumen, die Förderung des Radverkehrs oder die aktive Bürgerbeteiligung?
Dabei war die Stadt längst nicht immer ein Paradebeispiel für Lebensqualität: In den 1960er Jahren dominierte der Autoverkehr das Stadtbild, und öffentliche Räume waren kaum vorhanden. Erst mit der Studentenbewegung und einer stärkeren Bürgerbeteiligung begann ein Umdenken, das den Grundstein für die heutige Entwicklung legte.
„If you make more roads, you get more cars; if you make more pedestrian streets, you get more pedestrians.“
Dieses Zitat von Jan Gehl fasst eine zentrale Idee in der Stadtplanung zusammen. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen Stadtgestaltung und Verkehrsverhalten und zeigt, wie Infrastruktur die Nutzung von Räumen beeinflusst. Wenn eine Stadt mehr Raum für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen schafft, statt den Autoverkehr zu fördern, trägt das zu einer lebendigeren und sichereren Umgebung bei. Diese Philosophie prägt viele moderne und nachhaltige Stadtentwicklungsansätze weltweit und ist in Kopenhagen eindrucksvoll umgesetzt worden. Kopenhagens Ansatz zur „lebenswerten Stadt“ basiert auf einer menschenzentrierten und nachhaltigen Planung. Hierbei stehen Bürgerpartizipation und Co-Creation im Fokus, wie das Strategiepapier „Co-Create Copenhagen“ zeigt, das Einwohner*innen zur Mitgestaltung einlädt und damit Vertrauen und Verantwortung fördert.
Nach dem erfolgreichen Auftakt der „Liveability Talks“ in Kopenhagen, soll das Format einmal im Monat online fortgeführt werden. Beginnend am 07. November mit dem Gesprächsgast Charles Landry, dem renommierten Vordenker der Stadtentwicklung, der für seine Arbeit beim Creativity Bureaucracy Festival bekannt ist, das Kreativität und Innovation im öffentlichen Sektor fördert, sowie für das Creative Cities Program, das Städte dabei unterstützt, ihre kulturellen und kreativen Ressourcen zu nutzen.
Der Talk ist kostenfrei. Hier geht es zur Registrierung.
Nach einem eindrucksvollen und vollgepackten ersten Meetingtag und einem erfolgreichen ersten Talk ging es für die Projektpartner*innen weiter in einem von Trevor Davies geführten Citywalk. Höhepunkt war der Spaziergang durch Christiana, Kopenhagens berühmtes alternatives Viertel, das für seine einzigartige Mischung aus Kultur, Kreativität und Selbstverwaltung bekannt ist und einen besonderen Einblick in die vielfältige urbane Landschaft der Stadt bietet. Schließlich fand der Tag seinen Ausklang in dem charmanten Restaurant RizRaz mit einem vegetarischen Buffet, wo die Teilnehmer*innen den Abend entspannt ausklingen ließen.
Am zweiten Tag stand wieder der interne Austausch des Projekts im Vordergrund. An einem ganz besonderen Ort kamen die Projektteilnehmer*innen zusammen: in den Räumlichkeiten des Hauptsitzes des Dänischen Kulturinstituts im geschichtsträchtigen Vartov. Der Liveability-Partner, fördert den kulturellen Austausch und das gegenseitige Verständnis zwischen Dänemark und anderen Ländern. Vartov, ein Kulturzentrum im Herzen Kopenhagens, direkt neben dem Rathaus, spielt eine bedeutende Rolle in der dänischen Kultur und Bildung. Das denkmalgeschützte Gebäude hat einen wundervollen Hof, in dem das Team in der Mittagspause verweilte und einem Chor lauschte, der gerade einen Auftritt auf einer zentralen Bühne im Hof hatte.
Ausblick und weitere Schritte
Das Liveability-Team konnte Kopenhagen als wuseligen Inspirationstool erleben und nahm für das Projekt Ideen zur konkreten Umsetzung mit. Nächste Station ist das EUSBSR Annual Forum im schwedischen Visby. Am 30. Oktober lädt Liveability beim EUSBSR Annual Forum 2024 zum Seminar „Die Gestaltung lebenswerter Städte im Ostseeraum“ ein.
Über Liveability
Das Interreg-Projekt Liveability geht der Frage nach, wie wir unsere Städte zukünftig lebenswerter gestalten können. Ziel des Projekts ist es, öffentlichen Verwaltungen innovative Methoden an die Hand zu geben, um gemeinsam mit Bewohner*innen lebenswerte und attraktive Stadtumgebungen zu schaffen. Im Fokus der Betrachtung stehen mittlere und kleine Städte rund um die Ostsee.
Elf Organisationen, davon sechs Kommunen im Ostseeraum (Gdynia, Guldborgsund, Kiel, Kolding, Pori und Riga), entwickeln gemeinsam eine nutzer*innenzentrierte Herangehensweise, die gegenwärtig in einem nachbarschaftlichen Quartier in jeder Stadt erprobt wird. Die unterschiedlichen Hintergründe der Partner*innen aus Verwaltung, Kultur und Design ermöglichen einen vielfältigen Blick auf diese Fragestellungen und kreative Lösungsansätze.